In Bastets Reich

Vorsichtig tastet eine Pfote über mein Gesicht. Halbschlafend, traumverloren. Samttatze, lass ab! Einäugiger Blick in verschwommen getigertes Dunkel. Zu früh noch, Prana, lass mich weiterschlafen. Liderschweres Augenschließen. Schnurren. Wegtreiben.

“Beug dich hinab”, spricht die feine Stimme. “Knie nieder. Tiefer. Leg den Kopf auf den Boden. – Was siehst du?”

Warum sollte ich? Mein Traumgedanke flüchtet. “Warum nicht?” höre ich es flüstern. Dann Stille. Dunkel. Vergessen. Weiterschlafen. Das Morgenlicht weckt mich erst Stunden später und dann endgültig.

Nach verplempertem Kaffee, jetzt verschüttetes Futter in der Küche! Ich beuge mich hinab, knie nieder. Freitag der Dreizehnte? Prana schleicht lautlos heran, sieht mich an aus glimmend grüngelben Augen. Grinst die etwa? Frechheit!

Majestätisch, katzenköniglich, gekrönt von spitzen, sich lauschend drehenden Fellohren steht sie da: meine Katze. Einfach göttlich! “Natürlich, Eure Durchlaucht, aber ja, auch das Wasser fülle ich gleich nach. Gewiss doch.” Jetzt, wo auch das noch danebengegangen ist, füge ich im Stillen hinzu. Unters Regal gelaufen ist es. Tiefer muss ich, noch tiefer, lege den Kopf auf den Boden und schiele darunter.

“Was siehst du?” stiehlt sich fragend der rückkehrende Nachtgedanke heran. Nichts, Staub, Spinnweben – gar nichts, will ich sagen. Doch dann ist da doch etwas: Sich verschiebende Perspektiven – klare Farben wandeln sich in gedämpfte Töne, fremde Gerüche ziehen mich an, sich schärfende Konturen beginnen ein Eigenleben. Katzenkönigins Reich tut sich auf! Ein leises, verwundertes Mjao verlässt statt des gewollten Whow! meinen offenen Mund. 

Verheißungsvolles Vogelgezwitscher und fernes Mäusefiepen durchdringen einen mir ungewohnten Lärm. Zu laut! Die Musikanlage anpeilend, drehen sich meine Ohren Geräuschen zu, die meiner Natur jetzt fremd erscheinen. Schnuppernd hebt sich, mich nach vorne ziehend, meine Nase. Leicht fühle ich mich, geschmeidig und kraftvoll. Hunger und Mut, gepaart mit Vorsicht – eine plötzlich sehr vertraute Mischung. 

“Jetzt siehst du es!” maunzt Prana und wischt durch riesige Tore mit wehenden Fahnen, ihr feines hohes Mjauuu mit sich nehmend, hinaus in den Garten.

Ein dickes weißes fellweiches Seil zieht meine Aufmerksamkeit auf sich: Es windet sich vor mir am Boden und wippt im Takt meiner zunehmenden Verwunderung auf und ab. Und wem gehören diese Pfoten? Schwarz-weiß und in den Läufer verkrallt? Hoch, ich muss hoch und mir einen Überblick verschaffen! Federnd springe ich auf und lande – auf dem Herd. Gefährlich, heiß! hallt es durch meine Erinnerung. Und weiter geht es hinauf neben die Körbe auf den Schrank. 

Verwundert stelle ich fest, dass es mich trotz der Höhe nicht schwindelt! Immerhin trennen mich mindestens sechs, sieben Meter vom Boden. Welch eine Aussicht! Und wie wunderbar es hier nach Spitzmaus riecht! Ein kaum hörbares Rascheln lockt mich auf die Fährte, mein Hunger gibt den Suchbefehl. Kein Muskel zittert, ich bin gestaltgewordenes Lauschen.

Da! Sie entwischt! Mich selbstvergessen in die Tiefe stürzen, geschmeidig landen und erneut zum Sprung ansetzen ist alles eins. Tatz, zack, tatz, fangen, fassen, meins! Hab ich dich! Ich will meine Beute siegessicher hinaus in den Tag tragen und verspreche mir ein Festmahl allererster Güte: zart, saftig, fleischig, lecker.

Doch ich habe die Rechnung ohne meine Rivalin gemacht! Da ragt sie vor mir auf: Prana – die Katzengöttin in Person! Weiß der Katzenhimmel woher sie plötzlich aufgetaucht ist. Doch da sitzt sie, thront vor dem Ausgang: unvermittelt, unübersehbar, unumgehbar. Und sieht mich fordernd an. Kneift langsam ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und lässt die Schnurrbarthaare zucken. Des Knurrens bedarf es schon nicht mehr – ich weiß Bescheid: Ich habe verloren.

Ich tue so, als hätte ich ihr das Mäuslein sowieso überlassen wollen. Was auch sonst? Stellt sich je jemand einer Göttin in den Weg? Niemals und niemand!

Habe ich Dank erwartet? Nicht wirklich, oder? Manche Dinge sind eben wie sie sind. 

Dann mache ich langsam kehrt und gehe betont gelassen in die Küche zurück. Was wollte ich doch gleich? Richtig! Wasser im Napf nachfüllen, einen neuen Kaffee kochen. Brötchen dick mit Honig bestreichen und mich dann nach draußen setzen. 

Die herbstliche Sonne genießend, mache ich es mir auf meinem Gartenstuhl bequem und lasse mich beim Frühstück von den “Vier Jahreszeiten” begleiten. Es schmeckt heut etwas seltsam, stelle ich fest, so, als hätte ich noch den Geruch von Mäusen in der Nase. Ich muss aufpassen, dass meine Mitbewohnerin mir ihre “Geschenke” nicht bis ins Zimmer trägt!

Nach einer Weile kommt auch Prana vom morgendlichen Ausflug in ihr Jagdparadies zurück und checkt erst mal die Lage auf einer Runde um die Terrasse. Maunzend springt sie mir dann wie so oft auf den Schoß, rollt sich zusammen und sieht mich aufmerksam an. “Entschuldige, meine Liebe”, sage ich zu ihr, die Lautstärke der Musik katzenverträglich runter regelnd. 

Langsam lässt mein Samtgesicht den Kopf auf die Pfoten sinken. Ein gutes Zeichen, sie hat bekommen, was sie will! Sechs satte Kilo atmende Wärme auf meinem Bauch, die sehr zufrieden wirken. Wer weiß, wieviele Mäuse sie heut schon verspeist hat?

Meine Finger streichen gedankenverloren durch wunderweiches Fell. “Vielleicht sollte ich dich Bastet* nennen, meine Schöne? Wäre das angemessen?” Eine Pfote schiebt sich langsam unter meine andere Hand. Prana nimmt sich alle Zeit der Welt, um mir zu antworten: Sie öffnet träge ein grüngelb glühendes Auge, nur um es gleich wieder zu schließen, und beginnt dann wohlig zu schnurren. 

Mir ist, als hätte sie mir zugezwinkert.

* Bastet ist der Name einer ägyptischen Göttin in Katzengestalt

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2012