Mein Freund

Wenn du wiederkehrst, ist es kein Ankommen, um zu bleiben. Und wenn du gehst, ist es kein Verlassen, um nie zurück zu sein. Du kommst und gehst. Das ist deine Art, weiter zu suchen in der Welt, was du in ihr vermisst. Du bist ein Reisender auf Besuch bei uns. Und wir beide wissen, unsere Heimat, die wage erinnerte, ist nicht von dieser Welt. Dennoch sind wir uns ein Stück weit Heimat, immer wieder. Unerklärlich, vertraut und tief empfunden.

Fragst du mich, erzähle ich dir mehr als jedem anderen. Weil es gut aufgehoben ist bei dir. Du drehst und wendest meine Worte, weist sie ins rechte Licht. Mir wird noch klarer dann, was in mir ruft. So bist du mir helle Sonne, die meinen Schatten zeigt. Legst deinen Finger in die Wunde. Auf deine dir eigene aufmerksame Weise bringt er Heilung für das, was heilen will. Du reißt nicht auf, was erst noch reifen soll. Und wenn das Sehnen kommt, dann heißt du es willkommen und nimmst es mit mir an. Verbindest uns, ohne einzuengen und mir die Luft zu nehmen.

Dann atmest du mit mir und ich finde wieder meinen Rhythmus. So ruhst du neben mir, lose deinen Arm um mich gelegt. Wenn du dann schläfst, so tief, spüre ich, wie wir uns Frieden schenken, weil Frieden bei uns wohnt. Er stellte sich erst ein, als wir abließen, etwas Bestimmtes sein zu wollen. So sind wir mehr geworden, haben Größeres entdecken dürfen, als wir anfangs ahnen konnten.

Wenn du mich beschenkst mit schlichten wilden Blumen, dann fühl ich mich zutiefst erkannt. Keine Rose zeigt mich besser. Denn du schmeichelst nicht. Dein Dank ist aufrichtig. Und mehr bedarf es nicht.

Wenn ich dir von Männern rede, schätze ich deine Erwiderung. Sie ist wertvoll. Mehr als es die einer Freundin je sein könnte. Eben weil auch du ein Mann bist. Und wenn du mir von Frauen sprichst, darf ich dir Wege weisen, die du gehen könntest. Dann wünsche ich dir das Beste, frei dich lassend und hoffend, du findest das Gesuchte. Denn wilde Blumen tragen keine Stacheln und Nesseln brennen uns nicht mehr. Wir beschneiden nicht, wir ranken umeinander.

Du liebst andere Lieder und doch klingt immer wieder jenes auf, das uns berührt, bei dem wir still werden, so still, weil alles gesagt ist. Weil du schweigen kannst mit mir und den Frieden annimmst, ohne ihn durch Aufregung zu verletzen. Ich liebe dein Dasein, das meinem Bereicherung schenkt, das Wenige, das so viel mehr ist.

Wenn du selbstvergessen tanzt, erscheint das scheue Kind in mir. Absichtslos, Vertrauen schenkend bezauberst du es. Dann darf es sicher sein, nicht mitgerissen, aber leicht geführt zu werden, an Fingerspitzen und durch dein Lächeln. Und eben deshalb lernt es tanzen, bei dir, mit dir, um dich herum. Auch wild, auch atemlos.

Wenn du Tränen hast, weil Schmerz vergangener Tage leise fordernd wiederkehrt, und sie mir zeigst, ohne dich zu schützen, dann halte ich dich. So, wie du die meinen nicht verhöhnst durch Ablenken und Wegsehen. Weil du vor deinen nicht davonläufst, kannst du meine durchschauen, musst nicht um dich schlagen, blind vor Angst – dafür liebe ich dich, mein Freund.

Weil du dich weigerst, mir zu helfen, wenn ich mir selbst noch helfen kann, hast du mich meine Stärken finden lassen. Und meine Grenzen. Nicht um zu begrenzen, sondern um mich wachsen zu sehen. Du lachst mich nicht aus, wenn du meinst, dass ich irre. Du spinnst mit mir den Irrsinn fort, bis wir ihn verlachen können. Du Irrer, du.

Weil du deinen Träumen traust, habe ich meine wiedergefunden. Denn ich darf lernen, dass Vertrauen Träume weckt. Dass nicht hohe Ziele uns scheitern lassen, sondern der Verlust des Träumens ihr Gelingen gleichsam verhindert. Ich träume wieder, lebendiger denn je. Hab Dank!

Weil du das Weibliche in dir nicht leugnest und das Männliche in mir nicht ablehnst, kann ich dich achten. Als Mensch. Als anders als ich, als fremder Vertrauter, als vertrauter Fremder. Und Freund.

Weil du sagst, dass du immer irgendwie da sein wirst, auch wenn du fort bist, kannst du gehen, ohne Schmerz. Und zurückkehren, mit Freude.

Mein Freund. Meine Freude.

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2012