2. Kapitel

Vollmond

Schweigend schreiten die Gestalten den finsteren Waldweg entlang. Hier und da gelangt das  Mondlicht durch das Blätterdach und lässt ihn mehr als nur dunkle Schatten erkennen. Wie übergroße Fledermäuse sehen sie aus, denkt Marten, und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Und dann immer diese Geheimniskrämerei! So, als darf um keinen Preis irgendetwas von ihrem Tun bekannt werden. Wenn ich schon mitbekomme, dass sie wieder unterwegs sind, was wäre dann erst, wenn es jemand wirklich darauf anlegen würde? 

Marten fühlt sich sicher, kauert gut verborgen im Unterholz, geschützt vor fremden Blicken. Er weiß, was er tut, denn der Wald ist sein Zuhause, mehr als die Köhlerhütte seines Vaters tief im Tannwald, nur eine halbe Stunde Wegs nördlich der Schwarzen Berge. 

Er hat die Gestalten schon so manches Mal beobachtet und dass er heute hier ist, liegt allein an seiner Neugierde, die umso drängender wurde, je mehr Gedanken er sich über die zwielichtigen Gesellen machte. Er muss der Sache einfach auf den Grund gehen.

Und so hat er den nächsten Vollmond kaum noch erwarten können und sich dann zu gegebener Zeit auf den Weg gemacht, ist seine ganz eigenen Schleichwege gelaufen und jetzt sieht er sie dort vorn durch das Zwielicht schreiten: im Gleichschritt, wie von einer unsichtbaren Macht gezogen, fast lautlos, nur hin und wieder schabt Stoff auf Leder, ist leises metallisches Klingeln zu vernehmen. Das Mondlicht scheint auszureichen, sie sind ohne Fackeln unterwegs. 

Doch was ist das? Marten blinzelt und reibt sich die Augen, ja, er täuscht sich nicht, es umgibt sie wieder ein bläulicher Schein, kaum wahrzunehmen, aber er ist da, wenn die Gestalten besonders dunkle Stellen durchschreiten. So etwas hatte er vorher noch nie gesehen und tagelang gegrübelt, was es damit auf sich haben könnte, ohne eine Erklärung dafür zu finden. Es erinnert ihn an das sanfte Leuchten der Johanniskäfer, die an den Waldrändern – je nachdem, ob man ängstlich ist oder nicht – für ein geisterhaftes oder lustiges Lichtergewimmel sorgen. Oder es sind Irrlichter, die Reisende des nachts vom Wege abbringen, sie an finstere, sumpfige Orte führen und auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen. Marten fröstelt.

Lautlos schleicht er vorwärts, versucht, auf einer Höhe mit den Läufern zu bleiben, will sie nicht wieder, wie die letzten Male, aus den Augen verlieren. Denn das können sie meisterhaft – einfach verschwinden.

Bald schon müssten sie in der Nähe der alten Ulme sein, dort, wo sich die Wege aller vier Himmelsrichtungen treffen, und dieses Mal hat Marten einen Plan. Schneller bewegt er sich jetzt vorwärts, bemüht, kein Geräusch zu machen. Einen Arm nach vorn gestreckt, weicht er Ästen aus, umgeht dornige Gebüsche und erreicht rechtzeitig vor den anderen den massigen alten Baum. Er sieht sich aufmerksam um. Die kleine Lichtung, an deren Rand die Ulme aufragt, schimmert leer und unberührt im fahlen Licht des Mondes. Das hohe hölzerne Wegekreuz ragt neben ihm auf, ist stummer Zeuge seines heimlichen Tuns. Alles ist ruhig, sogar die Nachtvögel schweigen. 

Marten atmet tief durch und erneut durchfährt ihn ein Frösteln. Doch es ist nicht die Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, dass er mutterseelenallein im mitternächtlichen Wald unterwegs ist, anstatt am warmen heimischen Feuer geborgen unter den Decken zu liegen. Denn schon erscheint am gegenüberliegenden Waldsaum ein kaum wahrnehmbarer Schimmer bläulichen Lichts. Sie kommen!

Geschwind tritt Marten um den Baum herum, packt das Seil, das er Tage zuvor an einem der knorrigen Äste befestigt hat, und schwingt sich kraftvoll daran hinauf. Lange hat er geübt, bis ihm das fast lautlos gelang und er sich sicher war, so unbemerkt in die Krone des gewaltigen Baumes gelangen zu können. Dann zieht er das baumelnde Seil zu sich nach oben, macht es sich in einer ausladenden Astgabel bequem und schmiegt sich hinein. Jetzt deutet nichts mehr auf seine Anwesenheit hin.

Kurz darauf vernimmt er unter sich verhaltenes Wispern und leises Rascheln, Ledersohlen schreiten über den Sandboden, ein letztes leises Klingeln erstirbt. Als sich Marten vorsichtig vorbeugt und hinunter späht, durchfährt ihn erneut ein Kälteschauer. Denn was er unter sich erblickt, jagt ihm eine Gänsehaut über den Rücken. Fest umklammert er den dicken Ast und starrt die finsteren Gesellen an, die sich umeinander bewegen, bis sie einen Kreis um das Wegekreuz bilden und verharren. 

Jetzt tritt einer einen Schritt zurück und beginnt, die anderen zu umschreiten. Etwas Leuchtendes trägt er vor sich her, fast meint Marten, blaue Flammen zu sehen. Ihm stockt der Atem und er beißt sich unvermittelt in den Handrücken, um nur ja keinen Ton von sich zu geben, denn unten den Schritten des Läufers züngeln ebenfalls bläuliche Flämmchen auf, zeichnen erst einen Viertelkreis, und, je weiter er voranschreitet, einen halben und dann ist der leuchtende Kreis vollendet. Marten schluckt trocken. Ein Bannkreis! Er hat einen Bannkreis um die Versammelten gezogen! Das ist Magie! Schwarze Magie! 

Die Gestalt betritt …

Die Federsammlerin

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