Ahn Jael

Als Ahn Jael endlich zu mir kam – obwohl, er behauptet ja, mir schon von Anfang an zur Seite gestanden zu haben -, da verlor ich den Glauben daran, dass die Dinge eben so sind, wie sie sind. Zufälle waren für mich bis dahin nur bizarre Verknüpfungen von Ereignissen, die eben irgendwie aufeinander prallen. Ahn …
Read

Arianes Faden

Ich habe Ariane wiedergesehen. Beim Ausruhen auf einer Bank im Park kommt mir in den Sinn, was sie mir vor nicht allzu langer Zeit eben hier erzählte, als ich ihr einmal nahe sein durfte: Ariane lebt meist in ihrer ganz eigenen Welt. Vor allem nachts. Dann betritt sie ihr Labyrinth, durchschreitet all diese Räume, die sie …
Read

Ascheland

Was sagt ihr? Ihr habt noch nie vom Ascheland gehört? Nun… Vielleicht sollte ich euch warnen, das ist keine lustige Geschichte, nichts Vergnügliches. Manche von euch werden sich wünschen, nie davon gehört zu haben. Einige werden es als Nonsens abtun, andere wieder wird es berühren, so sehr, dass sie mit anderen Augen sehen werden und …
Read

Larynje & Jelaryn

Die Wärme des nächtlichen Feuers trocknet langsam die Tränenspuren auf ihrem an Falten reichen Gesicht. Sie hat gelebt – lange, und das Leben hat seine Spuren hinterlassen. Larynjes Hand, die eben noch ihr Kinn stützte als sie tief versunken in die Flammen sah, sinkt jetzt herab und das leichte Beben ihrer Schultern unter dem Fellumhang …
Read

Auf der Brücke

Sie spült den Pinsel aus, streift ihn am Läppchen ab und streicht mit kreisenden Bewegungen über ein kühles Chromoxidgrün, nimmt die Farbe auf und setzt zum Strich an. Es ist das gleiche Grün wie es der Fluss unten trägt. Sie zieht langsam, ganz langsam von links nach rechts über das Leinen.  Eine unwillige Falte erscheint …
Read

Sterne leuchten im Dunkel der Nacht

Martin weiß nicht genau, was ihn in diesem Jahr erkennen lässt: Es ist wieder soweit. Vielleicht liegt es an der Luft, die ihm bei seinen gewohnten Abendspaziergängen mit jedem weiteren Tag etwas kühler vorkommt. Sie streift nasskalt seine Hände, dringt in die Ärmel des Mantels, sogar unter den Schal; die Zeit der Nebel ist gekommen. …
Read

Spuren im Schneestaub

Es hat ein wenig geschneit heut Nacht, gerade so viel, dass die Wege wie von Puderzucker bestäubt sind. Zurückgekehrt von einem frühen Spaziergang wandern meine Gedanken wieder hinaus in die Wälder, auf der Suche nach einer Antwort: Wer oder was hat all die zahlreichen Spuren hinterlassen, die ich sah?  Mir war ja bewusst, dass es …
Read

Sieben Leben

Der seltsame Gedanke tauchte zum ersten Mal in mir auf, als ich auf dem Markt war, mich gerade auf dem Brunnenrand niedergelassen hatte und mich aufatmend umsah. Das Menschengewimmel um mich her war mir wieder zu viel geworden, die Einkäufe hingen schwer in meinen Händen. Es war erst vormittags und doch fühlte ich mich so …
Read

Paralleluniversum

Endlich wieder Karten für ein Metalkonzert besorgt. Irgendwas in mir will es mal wieder laut und sich ordentlich durchschütteln lassen. Das letzte Sommerfestival ist gefühlte Jahre her, in Wirklichkeit erst 3 Monate. Die Bändchen am Handgelenk halten die Erinnerung daran latent wach. Also auf gehts ins LKA. Nein, nicht Landeskriminalamt. Longhorn irgendwas heißt die Location. …
Read

Heimgehen

Wenn ich nachts in den schwach beleuchteten Gängen unterwegs bin, von Zimmer zu Zimmer gehe, auf Atemzüge lausche und Ausschau halte nach dem leichten Heben und Senken der Bettdecken, dann beschleicht mich hin und wieder das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass sich diese Nächte so ähnlich sind, dass …
Read

Das blaue Leuchten

Seine Finger bewegen sich flink und die Schwielen an den Händen hindern ihn nicht, fein und genau zu arbeiten. Geschickt umwickelt Madaram mit einer Sehne das Speerende und befestigt so die himmelblauen Federn, damit die Luftwesen dessen Flug ins Jagdziel wohlwollend begleiten können. Das Ende der Sehne fest in der Hand haltend, schnippt Madaram einige …
Read

Herzrot

Die goldenen Strahlen der Abendsonne streichen langsam, ganz langsam über den Fußboden und erreichen jetzt den kleinen Stapel dicken Papiers, den Henry vor sich liegen hat. Er fährt sich mit der Hand in den verspannten Nacken und streckt den Hals. Das warme Licht macht es auch nicht besser…, denkt er und legt entmutigt den Pinsel …
Read

Dreieinigkeit

Fast zeitgleich seid ihr in mein Leben getreten. Nur wenige Wochen nacheinander. Noch war ich Feuer und Flamme durch dich, der du den Bergen gleichst. Den schneebedeckten Gipfeln in deiner Kühle genau so, wie den feuerspeienden Vulkanen, wenn du aus dir heraus gehst.  War mit dir auf jedem von ihnen, stand oben im Wind hinter …
Read

In Bastets Reich

Vorsichtig tastet eine Pfote über mein Gesicht. Halbschlafend, traumverloren. Samttatze, lass ab! Einäugiger Blick in verschwommen getigertes Dunkel. Zu früh noch, Prana, lass mich weiterschlafen. Liderschweres Augenschließen. Schnurren. Wegtreiben. “Beug dich hinab”, spricht die feine Stimme. “Knie nieder. Tiefer. Leg den Kopf auf den Boden. – Was siehst du?” Warum sollte ich? Mein Traumgedanke flüchtet. …
Read

Malad Elam Kah

Auf seiner dreimonatigen Tour durch Indien haben sich ihm viele Erinnerungssplitter eingeprägt, und jetzt, seit Monaten wieder zu Hause und den Staub seiner Reise längst von den Kleidern gewaschen, macht sich Christian daran, seine Impressionen niederzuschreiben. Er spielt mit dem Gedanken, ein kleines Bändchen herauszugeben. Vier Kapitel sind schon fertiggestellt und an dem nächsten arbeitet …
Read

Wie die Müller zu ihrem Namen kamen

Kürzlich fand ich mich bei einem Waldspaziergang an einem Rastplatz mit Namen Mühlengrund wieder. Es war ein wahrlich lauschiges Plätzchen, nur die liegen gelassenen Abfälle anderer Wanderfreunde trübten das beschauliche Bild. Und da fiel mir eine Geschichte wieder ein, die ich selbst unlängst erzählt bekam. An einem kalten und dunklen Winterabend hatte ich mich mit …
Read

Schneetreiben

Weiße Weite, Schneetreiben, böig und fordernd. Hinausgetrieben hat er uns, der zwieträchtige Geist, nach lauten Worten und starken Gesten. Austreiben wollen wir ihn. Wir liefern uns ihm aus, noch etwas widerstrebend, wortlos und gedankenvoll. Doch dann geben wir uns ganz dem Treiben hin. Schneetreiben. Lassen uns gehen, werden zu Schneekönigin und Väterchen Frost. Mit schneeverbrämtem …
Read

Blutbuche & Windsbraut

Wind, was fragst du mich immer wieder? Welche Antwort erhoffst du dir dieses Mal? Mond, warum klagst du mich an? Du weißt, es geschieht in den Nächten, in denen du dein Antlitz vor der Welt verbirgst und auch Sonne auf der anderen Seite weilt. Das Licht der Sterne reicht hin, zu sehen was sie tun. …
Read

Adventus interstellare

Unter den Milliarden Lichtpunkten, die sich weit über ihr ausbreiten, beginnt einer kaum merklich an Leuchtkraft zuzunehmen. Aus diesem Fünkchen wird langsam ein deutlicher Funken, greller strahlend als die ihn umgebenden. Seine Farbe schimmert bläulicher, kälter als die aller anderen, die unverändert in der stummen Lichtsprache der Leere blinken. Er kommt, um sie zu holen. …
Read

Sonnenblau

Dieser endlose Sommer. Endlos sonnige Tage, denen kurze milde Nächte folgen. Und wieder geht ein Tag zur Neige. Eine Handbreit überm Horizont gleißt die Sommersonne, verströmt sich vor zartem Himmelblau. Einen schattenspendenden Arm an der Stirn, schaue ich ins flirrende Licht des Tales, das sich weithin unter mir ausbreitet: Diesige Luft lässt die grünen Höhenzüge …
Read

Ausgefallene Weihnachten

Benny zwängte seine Hände gleich wieder in die Jackentaschen zurück, nachdem er das rostige schmiedeeiserne Tor mit dem Davidsstern hinter sich geschlossen hatte. Es herrschte heute eine Kälte draußen, die seine Finger fast daran festgefroren hätte. Nun ja, es war Dezember, um genau zu sein, der 24. Dezember, da erwartete er nichts anderes als Kälte, …
Read

Dreh dich nicht um

Da stehst du nun, mit beiden Händen an der Wand. Dein Rücken spricht mich an und wartet. Zählst du die Rauten der Tapete? Oder zählst du die Sekunden? Was zählt mehr und was zählt jetzt? Zahllose Worte hast du gefunden, als du beschrieben hast, wie du geliebt werden möchtest. Und Zahlen kamen nicht darin vor. …
Read

Fürchter-Licht

Dunkel ist es. Stockfinstere Nacht. Kein Mond. Kein Lichtschein. Nichts. Die Hand vor Augen gerade noch zu ahnen. Sie meinen, seit Ewigkeiten umherzuirren. Achtzehn waren sie, jetzt sind sie nicht mal mehr eine Hand voll.  »Warte«, keucht Ingrid fast tonlos, ihr Atem faucht. Doch Petra zieht sie energisch weiter: Heidi ist schon einige Schritte voraus. …
Read

Aprilscherz

Sandra hört die Tür klappen. Endlich. Sie sinkt auf den Küchenstuhl. Stille. Fort ist er. Sie atmet auf. Wieder so ein Morgen. In nichts anders als all die anderen. Dabei sind sie heute genau ein Jahr zusammen. Es ist der 1. April. Und er hat es nicht einmal bemerkt. Müde ist sie. Auch wie jeden Morgen …
Read

KLEEne Wunschlektion

»Da kommt sie wieder!« rief Petula. »Wer? Wo?« fragte Mimula. »Na hör doch mal hin –  das kann niemand anders sein als unsere Sucherin. Mmh, die war ja lange nicht hier.« Mimula, lang und hager wie Spitzwegerich, flüsterte: »Oh ja, du hast Recht, ich höre es: Drei-drei-drei … wie immer!«  »Siehste,« sagte Petula, drall und …
Read

Das Seine

Mühsam stützt er sich auf dem Waschbeckenrand ab. Wo ist nur seine Kraft geblieben? Er ist erst Ende dreißig – und doch, als er seinen Blick zum Spiegel hebt, schaut ihn ein alten Mann an: Zerknittertes Gesicht, rotgeränderte Augen, verkniffener Mund, hohle Wangen, graue Bartstoppeln, zerwühltes strähniges Haar. Joachim richtet langsam sein müdes Kreuz auf, …
Read

Inspirierte Landschaftsmalerei

Aus den Annalen der Lady Anne Jennifer Glenwillow, 1723 – 1754 Muse des schottischen Malers Lord Hamish MacIntosh* und seine Gefährtin bis zu ihrem frühen Tod Briefe aus dem Sommer 1752, Crencester Forest, Hampshire, Südengland *** Liebster und teurer Freund, Mylord! Seid herzlich bedankt für Eure heute eingetroffene Postille, die mich in meiner Verbannung erreichte, …
Read