Ahn Jael

Als Ahn Jael endlich zu mir kam – obwohl, er behauptet ja, mir schon von Anfang an zur Seite gestanden zu haben -, da verlor ich den Glauben daran, dass die Dinge eben so sind, wie sie sind. Zufälle waren für mich bis dahin nur bizarre Verknüpfungen von Ereignissen, die eben irgendwie aufeinander prallen. Ahn …
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Ich steh neben mir

Ich bin kein Zwilling. Naja, horoskopisch gesehen schon. Geschwisterlich nicht. Definitiv. Wo kommt dann diese Stimme her? Wann kam sie zu mir? Sie? Ja, muss auch eine Frau sein, weil – wenn ich vor dem Spiegel stehe und das rote Shirt vor die grüne Hose halte, meint sie: “Ähm…!”, und ich schüttle synchron den Kopf …
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Arianes Faden

Ich habe Ariane wiedergesehen. Beim Ausruhen auf einer Bank im Park kommt mir in den Sinn, was sie mir vor nicht allzu langer Zeit eben hier erzählte, als ich ihr einmal nahe sein durfte: Ariane lebt meist in ihrer ganz eigenen Welt. Vor allem nachts. Dann betritt sie ihr Labyrinth, durchschreitet all diese Räume, die sie …
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Auf der Brücke

Sie spült den Pinsel aus, streift ihn am Läppchen ab und streicht mit kreisenden Bewegungen über ein kühles Chromoxidgrün, nimmt die Farbe auf und setzt zum Strich an. Es ist das gleiche Grün wie es der Fluss unten trägt. Sie zieht langsam, ganz langsam von links nach rechts über das Leinen.  Eine unwillige Falte erscheint …
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Sterne leuchten im Dunkel der Nacht

Martin weiß nicht genau, was ihn in diesem Jahr erkennen lässt: Es ist wieder soweit. Vielleicht liegt es an der Luft, die ihm bei seinen gewohnten Abendspaziergängen mit jedem weiteren Tag etwas kühler vorkommt. Sie streift nasskalt seine Hände, dringt in die Ärmel des Mantels, sogar unter den Schal; die Zeit der Nebel ist gekommen. …
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Paralleluniversum

Endlich wieder Karten für ein Metalkonzert besorgt. Irgendwas in mir will es mal wieder laut und sich ordentlich durchschütteln lassen. Das letzte Sommerfestival ist gefühlte Jahre her, in Wirklichkeit erst 3 Monate. Die Bändchen am Handgelenk halten die Erinnerung daran latent wach. Also auf gehts ins LKA. Nein, nicht Landeskriminalamt. Longhorn irgendwas heißt die Location. …
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Heimgehen

Wenn ich nachts in den schwach beleuchteten Gängen unterwegs bin, von Zimmer zu Zimmer gehe, auf Atemzüge lausche und Ausschau halte nach dem leichten Heben und Senken der Bettdecken, dann beschleicht mich hin und wieder das Gefühl, aus der Zeit gefallen zu sein. Vielleicht liegt es daran, dass sich diese Nächte so ähnlich sind, dass …
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Das blaue Leuchten

Seine Finger bewegen sich flink und die Schwielen an den Händen hindern ihn nicht, fein und genau zu arbeiten. Geschickt umwickelt Madaram mit einer Sehne das Speerende und befestigt so die himmelblauen Federn, damit die Luftwesen dessen Flug ins Jagdziel wohlwollend begleiten können. Das Ende der Sehne fest in der Hand haltend, schnippt Madaram einige …
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Herzrot

Die goldenen Strahlen der Abendsonne streichen langsam, ganz langsam über den Fußboden und erreichen jetzt den kleinen Stapel dicken Papiers, den Henry vor sich liegen hat. Er fährt sich mit der Hand in den verspannten Nacken und streckt den Hals. Das warme Licht macht es auch nicht besser…, denkt er und legt entmutigt den Pinsel …
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Koffer packen

In einer Stunde muss ich los. Nein, stimmt nicht. Ich will los. Die Gedanken wechseln die Meinung wie ein Chamäleon die Farbe und überlassen dann doch das Machtwort dem Bauch. Typisch, kein Verlass auf die Bande. Was wollte ich noch gleich?  Einpacken. Eine Tasche suchen. Seit dem letzten Umzug liegt vieles irgendwo, nur nicht da …
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Willkommen in der Wie-Welt

Letztens traf mich wie ein Schlag eine sagenhafte Erkenntnis! Und nein, liebe Gemeinde, das hier wird jetzt keine Abhandlung über Magisch-Mystisches, keine Märchenerzählung und auch keine Legende aus alten Zeiten. Nein, der Schrecken kam aus der ganz realen Welt. Der Wie-Welt. Ich befand mich ganz im Hier und Jetzt: Auf dem Weg zur Arbeit, das …
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Igloo

Mit nassen Handschuhen scharren, zusammenbacken, klopfen. Umfassen, schieben, hochheben. Schwitzen.  Die ganze Welt ist knietief weiß, kalt und heiß. Ist zugedeckt das Fremde. Das Blut rauscht in den Ohren, dämpft alle weiteren Geräusche. Ich höre sie nicht rufen. Weiter, weiter. Noch ein Brocken drauf. Kugel rollen, vor mir her. Jeder schiebende Schritt lässt sie wachsen. …
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Fadenscheinig

Wenn er in Muße hier draußen sitzt, schweifen seine Blicke auch immer mal zu den Fähnchen über ihm. Vor zwei Sommern hat er sie aufgehängt, die kleine Leine mit tibetischen Gebetsfahnen am Dach befestigt. Nicht, dass er Buddhist wäre. Auch weiß er die aufgedruckten Gebete und Symbole nicht zu deuten, aber das bunte Flattern dieser …
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Malad Elam Kah

Auf seiner dreimonatigen Tour durch Indien haben sich ihm viele Erinnerungssplitter eingeprägt, und jetzt, seit Monaten wieder zu Hause und den Staub seiner Reise längst von den Kleidern gewaschen, macht sich Christian daran, seine Impressionen niederzuschreiben. Er spielt mit dem Gedanken, ein kleines Bändchen herauszugeben. Vier Kapitel sind schon fertiggestellt und an dem nächsten arbeitet …
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Wie die Müller zu ihrem Namen kamen

Kürzlich fand ich mich bei einem Waldspaziergang an einem Rastplatz mit Namen Mühlengrund wieder. Es war ein wahrlich lauschiges Plätzchen, nur die liegen gelassenen Abfälle anderer Wanderfreunde trübten das beschauliche Bild. Und da fiel mir eine Geschichte wieder ein, die ich selbst unlängst erzählt bekam. An einem kalten und dunklen Winterabend hatte ich mich mit …
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Schneetreiben

Weiße Weite, Schneetreiben, böig und fordernd. Hinausgetrieben hat er uns, der zwieträchtige Geist, nach lauten Worten und starken Gesten. Austreiben wollen wir ihn. Wir liefern uns ihm aus, noch etwas widerstrebend, wortlos und gedankenvoll. Doch dann geben wir uns ganz dem Treiben hin. Schneetreiben. Lassen uns gehen, werden zu Schneekönigin und Väterchen Frost. Mit schneeverbrämtem …
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Besorgungen machen

Gitte zieht sich an. Sie will noch einkaufen. Oder »Besorgungen machen« wie sie hier sagen. Sie ist mal wieder spät dran, immer auf den letzten Drücker. Jetzt in der Vorweihnachtszeit gibt es noch so viel zu tun, ihre große Familie will beschenkt werden. Eben beim Frühstück, das sie alleine mit Kerzenschein genoss, hat sie die …
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Ausgefallene Weihnachten

Benny zwängte seine Hände gleich wieder in die Jackentaschen zurück, nachdem er das rostige schmiedeeiserne Tor mit dem Davidsstern hinter sich geschlossen hatte. Es herrschte heute eine Kälte draußen, die seine Finger fast daran festgefroren hätte. Nun ja, es war Dezember, um genau zu sein, der 24. Dezember, da erwartete er nichts anderes als Kälte, …
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September

Es will nicht so recht hell werden, heute, an diesem frühen Morgen. Die Nacht ist zögerlich gegangen, schon ist es gegen acht. Tief schwebt der Himmel, ist so dicht verhangen mit nebelgrauem Tuch. Das Dämmerlicht jedoch beweist, es gibt die Sonne noch! Nur weit, weit weg von hier.  Kühle setzt sich fest in meinen Kleidern. …
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Fürchter-Licht

Dunkel ist es. Stockfinstere Nacht. Kein Mond. Kein Lichtschein. Nichts. Die Hand vor Augen gerade noch zu ahnen. Sie meinen, seit Ewigkeiten umherzuirren. Achtzehn waren sie, jetzt sind sie nicht mal mehr eine Hand voll.  »Warte«, keucht Ingrid fast tonlos, ihr Atem faucht. Doch Petra zieht sie energisch weiter: Heidi ist schon einige Schritte voraus. …
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Sommerpause

Eigentlich ist schönes Wetter. Eigentlich ist Sommer. Diese helle Jahreszeit, auf die ich so sehr warte, die ich Monate vorher schon an den Fingern abzähle. Deren Licht mir den Winter über fehlt, ebenso wie ihre Wärme und die Farbe Grün. Eigentlich mag ich jede Jahreszeit, jede hat etwas ganz eigenes, was keine der anderen zu …
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Aprilscherz

Sandra hört die Tür klappen. Endlich. Sie sinkt auf den Küchenstuhl. Stille. Fort ist er. Sie atmet auf. Wieder so ein Morgen. In nichts anders als all die anderen. Dabei sind sie heute genau ein Jahr zusammen. Es ist der 1. April. Und er hat es nicht einmal bemerkt. Müde ist sie. Auch wie jeden Morgen …
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In der Stille der Nacht

Weihnachten und Geschenke, das gehört irgendwie zusammen, nicht wahr? So wie Skifahren und Schnee, Glühwein und Kälte, die Weihnachtsgans und der festlich gedeckte Tisch. Und was wäre der Weihnachtsmann ohne seinen Sack voller… eben. Nur ein alter, weißbärtiger Mann im roten Mantel. Manchmal jedoch kommt alles anders, als man denkt oder es gewohnt ist. Dann …
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Das Seine

Mühsam stützt er sich auf dem Waschbeckenrand ab. Wo ist nur seine Kraft geblieben? Er ist erst Ende dreißig – und doch, als er seinen Blick zum Spiegel hebt, schaut ihn ein alten Mann an: Zerknittertes Gesicht, rotgeränderte Augen, verkniffener Mund, hohle Wangen, graue Bartstoppeln, zerwühltes strähniges Haar. Joachim richtet langsam sein müdes Kreuz auf, …
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Ohne Moos

Schon seit Wochen grübelt Gudrun darüber nach, wie sie zu Geschenken für ihre Lieben kommt, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Nicht dass sie es nicht gern tun würde, aber wo es an Ausgeb-Barem mangelt, muss eine andere Lösung her. Also, was tun?  Nun, sie wird die drei hilfreichen Bs bemühen:  Basteln, backen, besuchen.  Das …
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