Ohne Moos

Schon seit Wochen grübelt Gudrun darüber nach, wie sie zu Geschenken für ihre Lieben kommt, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Nicht dass sie es nicht gern tun würde, aber wo es an Ausgeb-Barem mangelt, muss eine andere Lösung her.

Also, was tun? 

Nun, sie wird die drei hilfreichen Bs bemühen: 

Basteln, backen, besuchen. 

Das erfordert ein wenig mehr Nachdenken, Einfühlen und Planen als schlichtes Einkaufen, macht ihr aber ganz nebenbei auch viel mehr Spass. Und sie weiß vorher eigentlich nie, was genau dabei herauskommt – die Kinder ebenso wenig. Es werden richtige Weihnachtsüberraschungen.

Wenn sich die eben noch streitbaren und verspielten Kinder über die Zeit in erstaunliche Erwachsene gewandelt haben, ist es mit der bunten Papierlaterne oder dem kleinen Puzzle Marke Eigenbau nicht mehr getan. Da muss was Anspruchsvolleres her.

Mal sehen … 

Anne hätte gern mal eine schwarze Strickweste mit roten Bommeln, das weiß Gudrun, darüber hatten sie im Sommer gesprochen, eine, die zu Annes weißer Bluse und dem schwarzen Samtmini passt. A collegegirl. Ok, das kriegt sie hin. Noch sind ihre Finger nicht gichtgekrümmt. Und nebenher kann sie ihre alljährlichen geliebten Weihnachtseinstimmungsfilme schauen. Das passt.

Lene wünscht sich eh was kreatives Handgemachtes, weil für sie Gekauftes nicht wirklich zählt. »Kaufen kann ja jeder«, hat sie gesagt, und »das hat mit Liebe schenken überhaupt nichts zu tun.« Da hat Lene ihre Prinzipien, die auch ihr Freund bei jeder Gelegenheit zu spüren bekommt und ja, da hat sie nicht ganz unrecht. 

Aber es darf natürlich nicht genau dasselbe Geschenk sein, wie es ihre Zwillingsschwester erhält. Schließlich ist sie ein Individuum! Also wird Lenes Weste rot mit schwarzen Bommeln.

Lore, das wilde Kind, das in der hübschen Frau, die sie mittlerweile geworden ist, immer noch heftig rumort, braucht etwas Ausgleichendes. Etwas, das sie runterholt, wenn sie wieder tobt und die Ungerechtigkeiten dieser Welt sie auf die Palme bringen. 

Sonnenklar, dass Lore einen Ableger von Gudruns Palme bekommt und einen handgeschnitzten und polierten Handschmeichler. In Herzform natürlich, so, wie sie jedes Jahr von ihr ein Herz bekommt. Aus Holz, Stein, Glas, Stoff – bunt, glitzernd, warm, schimmernd. Als späten Ausgleich für die Erstgeborene, die unter der folgenden Geschwisterlast immer mal gelitten hat.

Der Sohn, kein Kind mehr und doch noch nicht erwachsen, der den Aufstand probt und doch gern noch in den Arm genommen wird – was um Himmels willen kann ihn erfreuen außer Computerzubehör? Es hat Gudrun einige schlaflose Nächte gekostet, bis die Idee ihr endlich zuflog: Ein selbstgenähtes Hemd in leuchtendem Schwarz. Mit einem aparten freundlich grinsenden Totenkopf eines ausgemusterten T-Shirts verziert. Mit ausgefransten Nähten und unbügelbar versteht sich. Cool …

Ihre Mutter, die weit weg wohnt und deshalb von seltenen Besuchen zehrt, wird ein Foto von Tochter und Enkelsohn bekommen. Zwar wird sie nicht ahnen, welche Überredungskünste Gudrun hat aufwenden müssen, um den Sohn zum Fotografen zu schleppen, aber kein Opfer ist zu groß, wenn es um die eigene Mutter geht. Ein hübscher Rahmen dazu und fertig. »Da hat sie uns dann immer vor Augen und wird sich aussöhnen mit unserem seltenen Erscheinen«, denkt Gudrun ganz praktisch.

Für ihre Schwester hat sie endlich eine Sammlung mit Rezepten zusammengestellt. Kati kocht so gerne und heult immer wieder, dass sie die alten Familienrezepte bei ihren letzten Umzügen verschlampt hat. Noch ein paar hübsche Fotos von all den Gerichten dazu, die übers Jahr in Gudruns Küche entstanden sind – perfekt! Nur noch fettfingerfreundlich einbinden lassen.

Dann wird Gudrun, wie jedes Jahr, Plätzchen backen, dass der Ofen kracht. Irgendwann mal hatte sie damit angefangen und von da an wurde das von den Kindern zum Gesetz erhoben und es ging partout nicht mehr ohne. Schon im September erinnern sie fürsoglich an Gudruns vorweihnachtsliche Aufgabe und sie stellen da hohe Ansprüche an Qualität und Quantität. 

Aber was tut man nicht alles als wirklich gute Mutter? Die Dosen vom letzten Jahr hat sie fürsorglich gleich nach Weihnachten wieder eingesammelt, so dass das Verpackungsproblem sich heuer quasi gar nicht erst stellt.

All die Jahre haben die Kinder sie besucht zu Weihnachten. Nicht immer alle, aber immer öfter mehrere. Und dieses Jahr wird sie zur Abwechslung mal bei ihnen hereinschauen. Natürlich nicht, ohne vorher sehnsüchtig eingeladen worden zu sein. Und nur für drei Tage. Anne wohnt so schön in der Landesmitte, dass alle nicht allzu weit anreisen müssen. 

Welch hübsche Idee, die Verantwortung für das Ausrichten des Weihnachtsfestes an eins der Kinder abgeben zu dürfen. Und froh ist Gudrun, dass sich alle freuen, sie dabei zu haben. Nicht weil sie, Gudrun, es unbedingt so will, sondern weil die Kinder es sich so wünschen. 

Diesen Weihnachtswunsch erfüllt sie wirklich ganz besonders gern. Und er kostet nicht mal viel, nur ein Landessparticket. Und keinerlei Überwindung.

Frohe Weihnachten!

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2010