Fürchter-Licht

Dunkel ist es. Stockfinstere Nacht. Kein Mond. Kein Lichtschein. Nichts. Die Hand vor Augen gerade noch zu ahnen. Sie meinen, seit Ewigkeiten umherzuirren. Achtzehn waren sie, jetzt sind sie nicht mal mehr eine Hand voll. 

»Warte«, keucht Ingrid fast tonlos, ihr Atem faucht. Doch Petra zieht sie energisch weiter: Heidi ist schon einige Schritte voraus. Nur ihr ehemals helles Kleid zeigt ungefähr, wo sie geht. Sie dürfen sich nicht verlieren!

Eng wird es hier, wirklich eng. Dicht an dicht stehen die Stämme.

Monika flüstert von der Seite: »Wir müssen zurück und dann nach links, den Sandweg weiter.«

Sie halten wieder an. Drei Körper pressen sich aneinander, die Rücken der Vierten zugewandt, bilden sie eine Schutzmauer. Petra, die Kleinste, hat sich in die Mitte gezwängt, zittert haltlos am ganzen Körper. 

Sie lauschen, nehmen den eigenen Atem wahr, stoßweise und rasselnd. Kein weiterer menschlicher Laut ist zu hören, nur das leise Wiegen der Kiefern und ein tapp – tapp – tapp aus verschiedenen Richtungen.

Sie sinken nieder, hocken jetzt am Boden, eng aneinander gedrückt. Horchen in die Dunkelheit.

Monika ängstigt das Tappen, leise fragt sie: »Was ist das da um uns? Tappen da Tiere?«

»Wahrscheinlich sind´s die runter fallenden Kienäpfel«, meint Heidi. Sie hat wie sonst auch immer, schnell eine passende Antwort parat, »Der Wind macht das, der weht sie runter.«

»Ist doch gar kein Wind«, protestiert Ingrid. »Schschscht, wenn du soviel plapperst hören wir nicht, wenn sie ran kommen!«, wirft Petra ein und wird von Angst und Vorahnung geschüttelt.

»Hast du dein Messer mit, Monika? Ich Dösbaddel hab meins dem Langen geliehen, wer weiß, was der jetzt damit macht. Sowas Saublödes aber auch!«, ärgert sich Ingrid, »Und die Batterien meiner Lampe sind schon alle und noch bescheuerter, dass ihr drei eure vergessen habt!«, redet sie sich in Rage.

Nadeln stacheln an ihren Beinen und schieben sich schmerzhaft in die Sandalen. Kühl wird es jetzt auch, die kurzen Kleider halten die klamme Nachtluft nicht ab und an Jacken hatten sie vor Stunden noch nicht gedacht. Nicht nach diesem heißen Sommertag.

»Wir müssen hier weg«, jammert Petra, an Ingrid und Monika geklammert, »ich halte das nicht mehr aus. Wer weiß, was hier noch so rum rennt, erinnert euch, was die Jäger gesagt haben, die Größten sind nachts unterwegs«. 

»Quatsch«, beruhigt sie Heidi, »die schlafen längst irgendwo«. Doch auch ihre Augen versuchen, das Dunkel zu durchdringen.

Monika richtet sich langsam auf, tastet Halt suchend am nächsten Stamm empor und kreischt plötzlich kurz auf. »Iiiih, ist das eklig, so klebrig, meine ganze Hand ist voll davon!«

»Mach nicht so ein Theater!«, herrscht Ingrid sie an, »das ist nur Harz!«

»Trotzdem eklig…«, flüstert Monika kleinlaut.

»Los jetzt, sonst sind wir morgen früh noch hier.« Petra hat sich ebenfalls erhoben, Mut will sie auch als Kleinste zeigen. Ihre Zähne schlagen aufeinander, die Arme hat sie fest um sich geschlungen. Jetzt jammert sie dennoch leise aber eindringlich: »Wir haben uns verlaufen, wir finden nie mehr zurück, niemand von uns kenn das hier, den dichten Wald, die krummen Wege, die Viecher…«

»Halt die Klappe!« herrscht Heidi sie an, nimmt sie dann aber fürsorglich in den Arm.

»Die machen sich einen Scheißdreck aus uns, lassen uns hier einfach verrecken.« Monika tastet mit ihren Händen am Dreck starrenden Kleid hinab. Auch die Beine, fühlt sie, sind voller Schlammkrusten. Sie alle sehen aus wie die Wildschweine. Ganz bestimmt.

»Biste blöd? Wenn die uns so sehen, dann haben wir ein für alle Mal verschissen bei denen, dann kommen wir in die unterste Baracke, von wo es noch weiter ist zum Klo als jetzt schon. Dann nehmen sie uns überhaupt nicht mehr für voll. Dann müssen wir mit den andern nach dem Fraß ins Bett und die machen´s dann ewig so mit uns, du weißt schon, nachts draußen an die Wand klatschen und die ekligen Tiere reinlassen und alles krabbelt wieder.« Ingrid ist verzweifelt. 

»Riecht mal, das ist doch Rauch, oder?«

»Quatsch, Nebel ist das.« Monika schnüffelt.

»Nee, Heidi, das riecht nach brennendem Holz. Holzfeuer. Ich kenne das von zu Hause. Lagerfeuer – das Lagerfeuer muss das sein.«

»Wirklich Ingrid? Und wenn das Lager brennt? Dann können wir hier verschimmeln!«

»Ich sag dir, das ist das Lagerfeuer und im dümmsten Fall sind wir die halbe Nacht im Kreis gelaufen. Wie peinlich, oh Gott!«

Plötzlich ein lautes, grässliches Geräusch! Sie fahren herum, klammern sich noch enger aneinander. Deutlich hat es laut geknackt in der Nähe. Jetzt wieder. Näher. Noch näher.

Jähe gleißende Helle lässt sie die Arme vor die Augen werfen, geblendet drücken sie sich gegeneinander, die Köpfe abgewandt.

Gelächter flammt auf. Die Kerle haben sie gefunden. Höhnisch, übermütig und siegessicher klingen die Stimmen die rufen: »Jammerlappen! Zimtzicken! Heulsusen! Pissnelken! …«

Sie konnte absolut grausam sein – die Nachtwanderung.

Damals im Ferienlager. 

Unvergessen.

***

2010