September

Es will nicht so recht hell werden, heute, an diesem frühen Morgen. Die Nacht ist zögerlich gegangen, schon ist es gegen acht. Tief schwebt der Himmel, ist so dicht verhangen mit nebelgrauem Tuch. Das Dämmerlicht jedoch beweist, es gibt die Sonne noch! Nur weit, weit weg von hier. 

Kühle setzt sich fest in meinen Kleidern. Wie jeden Morgen beginne ich den Tag hier draußen, nun zum ersten Mal wieder in eine warme Decke gehüllt. Ich ziehe sie ein wenig fester um mich, sie, die grau ist, wie die nahen Nebel, die sich an die umliegenden Hänge schmiegen. Es hat wohl geregnet in der Nacht. Die Spinnennetze glitzern und leuchten aus sich selbst heraus, kleinen Sternenhaufen gleich, im Insektenuniversum meines Gartens.

Ein drittes Paar Socken bitte ich, mich warm zu halten und lege meine Füße auf den Stuhl mir gegenüber. Bereitwillig teilt mein Kater seinen angestammten Platz mit mir. 

Das rote Kleid, das ich mir vorhin wählte, spiegelt heut kein Morgenrot zurück. Mich fröstelt diesmal schon ein wenig, mag dennoch gern hier draußen sein. Im Freien, im Garten, geborgen unter der Markise. 

Zu wissen, jederzeit kann ich ins Warme, ist mir Freiheit, die ich liebe. Bewusst wähle ich das Draußen und nehme wahr, was da von ferne zu mir kommt. Ja, noch ist es fern, doch folgt auf leisen Sohlen dem Sommer etwas schleichend nach, hat seine Hand bereits genommen, hält sich an seinem Alter fest.

Mir scheint, der Sommer will recht zeitig weichen, hat sich wohl müd gespielt im letzten Vierteljahr. Hat nach milden hellen Nächten wieder und wieder aufgespielt am Morgen, an vielen Tagen und ganze Wochen lang. Hat seine Zeit genossen, voll ausgekostet, wie ich die seine. Die Sonne, seine liebste Freundin, war mit dem Regenbruder oft im Bunde. Das Geschwisterpaar, das Wetter fruchtbar macht. Selten fuhr der Gewittergott dazwischen, wenn sie ihn neckten, allzu arg. Ausgewogen spielten sie das alte Spiel – von nichts zu wenig, von keinem zuviel. 

Kein Übermass, kein Mangel. Nur Überfluss, segnend und reich, üppig und verschwenderisch. Die Wiesen blieben leuchtend grün, der Himmel klar, vom Regen rein gewaschen. Die Sonne sah in jeden Winkel und verliebt der Blüten Farben küssend, taten’s ihr die Bienen gleich. Und als der Regen Tränen lachte, brachten sie, ein frühes Geschenk an den Herbst, gemeinsam prächtig saftige Früchte hervor. 

Mich umstreicht jetzt seltsam mild und weich zugleich ein Hauch von Osten her. Er kräuselt hoch den Dampf des Tees hier neben mir, den ich schon fast vergessen, und weht mir Süße ins Gesicht. Doch gerade, als ich ihn bewusst zu spüren meine, begibt er sich zur Ruh und lastend tiefe Stille kehrt zurück. Herbstduft hat der Wind mir mitgebracht auch von den nahen Hängen, die Apfelbäume nicken dort, und von der Linde gegenüber schickt er mir ein selten goldnes Blatt. Und so beschenkt ich mich auch fühle, Kühle weht und macht mich matt. Der Tee wärmt nur die klammen Finger.

Die Vögel singen merklich leiser und mein Kater sucht mich auf. Er mag wohl heute nicht mehr jagen und schleicht sich hoch auf meinen Bauch. Dort rollt er sich ganz dicht zusammen und dankbar grab ich meine Finger hinein in lebhaft warmes Fell. Und schnurrend dankt dann er mir wieder, freut sich wohl wie ich darüber, stubst mich an: Mach weiter so, wärm du mich auch.

Ein dumpfer Laut durchbricht die Stille. Ein Apfel fiel herab und rollt, zu früh so will mir heute scheinen, zur Brombeerhecke, noch ganz grün. Er legt sich still an deren Seite, die vor ihm schon die Fallsucht traf. Die Pferde auf der Koppel äugen naschhaft blinzelnd zu ihm hin.

Ein dicker Kürbis lacht im Grase, ein Erdlicht, ganz orangerot. Die Sonne hat ihn angemalt und ist sie selbst in ihm geworden. Ein Sonnenkind, ein Sommerkind. Der Regen hat ihn großgezogen, prall und reif und rund gemacht und, seinen Tropfen gleich, die Samen in ihm wachsen lassen.

Später werde ich ihn holen, ihn sterben lassen ganz und gar. Mein Messer wird ihn mehrmals schneiden und dann noch Samenraub betreiben, so an die fünf bis sieben Mal. Im Kochtopf darf er dann ertrinken. So stirb. Und werde wieder – neu. Im nächsten Jahr.

Wenn ich nicht wüsste, überlege ich, mich fragend, dass heute schon September ist, wie würde ich dann wohl empfinden? War da nicht auch im Juni schon so mancher kühle Morgen, ganz erfüllt von trübem Licht? 

Wie kommt es nur, dass dieser Monat mir so sehr von Abschied spricht?

***

2012