Ascheland

Was sagt ihr? Ihr habt noch nie vom Ascheland gehört? Nun… Vielleicht sollte ich euch warnen, das ist keine lustige Geschichte, nichts Vergnügliches. Manche von euch werden sich wünschen, nie davon gehört zu haben. Einige werden es als Nonsens abtun, andere wieder wird es berühren, so sehr, dass sie mit anderen Augen sehen werden und es nicht vergessen. Aber vielleicht – wenn nur einige wenige verstehen werden, dann hat es sich gelohnt, davon zu berichten. Ich habe euch neugierig gemacht, nicht wahr? Und Neugier ist etwas sehr Kraftvolles, ihr werdet gleich erfahren, warum. 

Sicherlich wisst ihr es nicht, aber ich habe einige Zeit im Ascheland gelebt. Und hin und wieder bin ich kurz zu Besuch dort. Ihr werdet es auf keiner Landkarte finden und doch, ich versichere euch: Jeder von euch war schon einmal dort. Oder öfter. Zuweilen kann man sich dort sogar begegnen. Vielleicht könnt oder wollt ihr euch auch nicht erinnern. Wie gesagt, es ist nicht nett dort, obwohl, das kommt wohl auf die Betrachtungsweise an.

Wie man dorthin gelangt, wollt ihr wissen? Nun, das kann ganz unterschiedlich sein. Manch einer findet sich einfach dort wieder, hineingeworfen durch etwas Unvorhergesehenes. Andere sehen es sehr wohl kommen, wissen aber keinen anderen Weg, als geradewegs darauf zuzugehen. Sie verpassen sozusagen die Wegweiser, sind blind für Hinweise. Oder tragen in gutem Glauben letztendlich selbst das meiste dazu bei, dorthin zu gelangen. Ob nun aber langsam oder plötzlich: Wer erst einmal dort angekommen ist, glaubt sich in einer anderen Welt.

Das ist schon deshalb so, weil er vorher durch das Feuer gehen musste. Ja, genau, durchs Feuer! Und danach ist nichts mehr so, wie es einmal war. Ich kenne niemanden der durch die Flammen ging und gänzlich von ihnen verschont wurde. Die allermeisten von euch werden dem Feuer schon einmal zu nahe gekommen sein. Werden den Schmerz des Verlustes, des Verrates, der Schuld gefühlt haben. Es tat weh, nicht wahr? Ihr habt die Hand auf euer Herz gelegt und gespürt, wie weh. Das ist der Weg ins Ascheland. Und dort sind alle Menschen Kinder. Sie haben auch einen Namen. Sie nennen sich: Gebrannte Kinder.

Es gibt sehr viele Kinder im Ascheland, auch wenn dort sonst nichts wächst. Außer Einsicht vielleicht. Aber es gibt Pflanzen, durchaus. Nur sind sie wie Trockenblumen, ohne Duft, starr, und ihre Farben sind verblasst. Das ein oder andere Kind, das die grünen Wiesen vermisst, die lebendigen Tiere, das Lachen der Anderen, und das neugierig genug ist, nimmt sich der vertrockneten Gebilde an, hegt und pflegt sie, gießt sie mit Tränen und Mitgefühl und Hoffnung. So kann es geschehen, dass sich ein frischer grüner Trieb zeigt und dann zieht es diese Kinder hinaus aus dem Ascheland und wir sehen sie wieder unter uns, etwas stiller vielleicht, aber lebendig und frohen Mutes.

Manch eines der Kinder meint auch, dass es im Feuer alles verloren hat, wofür es sich zu leben lohnte. Es verliert dann jeden Lebensmut. Vielleicht war es auch ein besonders großes Feuer, in das es geriet. Vielleicht hat es andere Kinder darin umkommen sehen. Es fühlt sich gänzlich verlassen und verlässt sich letztendlich selbst. Das geschieht nicht oft, aber es kommt vor. 

Überhaupt, diese Kinder… Jedes hat seine eigene Art, dort zurechtzukommen. Einige freuen sich, Leidensgefährten gefunden zu haben und sie erzählen sich ihre Erlebnisse:  wie riesig das Feuer war, wie sehr es geschmerzt hat, als es sie überfiel und dass sie voller Narben sind. Sie erzählen sie wieder und wieder und machen sie so zu ihrem Leben und vergessen darüber, dass es noch soviel mehr zu erleben gibt. Das sind jene, die sehr lange Zeit im Ascheland verweilen, manche ihr ganzes Leben lang.

Einige der Kinder nutzen auch die Zeit im Ascheland, um auszuruhen von all dem Erlebten vorher, wenn sie zu viel gewagt haben, wenn sie gescheitert sind, wenn sie – eine Zeit lang zumindest – dem Leben nicht mehr zu trauen vermögen. Wenn sie erst Kraft und Zuversicht wieder in sich finden müssen, einfach eine Atempause brauchen, bevor sie sich dem Feuer des Lebens erneut stellen können. 

Andere wieder vergessen das Feuer einfach, vergessen wie sie hineingeraten sind und dass ihnen etwas weh tat. Sie gelangen recht schnell wieder fort von dort. Ja, das Vergessen ist auch ein Weg, zurückzufinden. Aber viele von ihnen kommen dann auch ebenso schnell wieder zurück ins Ascheland. Unfreiwillig. Das kann einige Male so gehen. Nur werden sie mit jedem Male dünnhäutiger, vorsichtiger. Manche so sehr, dass sie sich nie mehr in die Nähe des Feuers wagen. Sie sagen dann, das Leben sei gefährlich. So führen sie zumeist eines ohne Höhen und Tiefen, wähnen sich in lauwarmer Sicherheit. 

Und dann gibt es da noch diesen Spruch, ihr kennt ihn sicherlich alle: Gebranntes Kind scheut das Feuer. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn die eigentliche Kunst ist es, die Wärme des Feuers in seinem Leben zu schätzen und ihm doch nicht so nahe zu kommen, um ernsthaft Schaden zu nehmen. Auf sich zu achten, in einem Maße, dass Schmerz nicht zum Herrscher wird, sondern seinen Platz neben Freude und Glück findet, dass Asche wichtig ist, um Neues wachsen zu lassen, jedoch nicht zur alleinigen Nahrung dient. 

Das Allerwichtigste jedoch ist, zu verstehen, dass das Feuer erst wirklich geliebt werden kann, wenn man sich von ihm hat erfassen lassen, durchs Ascheland gegangen und wieder hier angekommen ist. Insofern ist dieses Land wohl genauso wichtig, wie das Feuer selbst. Wenn das geschehen ist, wenn ihr das Feuer liebt, ihm gerne nahe seid, dann habt ihr die Feuerprobe bestanden. Dann werdet ihr vermutlich ein reiches Leben führen. 

Und das Ascheland? Es wird nur eine Erinnerung sein, wenn auch eine wichtige. Zurückgekehrt werdet ihr euch Geschichten davon erzählen. Geschichten voller Mut und Hoffnung, Mitgefühl und Liebe.

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2017