Dreieinigkeit

Fast zeitgleich seid ihr in mein Leben getreten. Nur wenige Wochen nacheinander. Noch war ich Feuer und Flamme durch dich, der du den Bergen gleichst. Den schneebedeckten Gipfeln in deiner Kühle genau so, wie den feuerspeienden Vulkanen, wenn du aus dir heraus gehst. 

War mit dir auf jedem von ihnen, stand oben im Wind hinter deinem breiten Rücken geborgen und weit reihum schauend. Habe unten die Glut mit dir erlebt, bin tief in sie eingetaucht. Bei jedem neuen Ausbruch wurde ich empor geschleudert und verglühend neu geboren.

Eines nachts tat sich leise eine weitere Tür auf und Poesie begann, durch meinen Alltag zu flüstern. Zuvor hatte ich sie nicht vermisst, nicht wissentlich. Du maltest mit deinen Wortfühlern ganz ohne Absicht weite Bannkreise um mich, mein Innerstes erschütternd, nicht mehr oder weniger, aber anders als es Vulkanausbrüche und Schneestürme  vermochten. 

Bist du jener da, der mich Feuer speien und frostig klirren lässt, so bist du der andere, der durch Wortstämme zu mir spricht, der mich als Faun durch Wälder führt, meine Nymphen nach dir haschen lässt. Der Leichtigkeit im Spiel mich lehrt.

Zwei Sphären seid ihr, die ich gern durchreise, bereit für jedes Abenteuer: felsenfestes Gebirge und glasklare Luft, liebliche Auen und feuchtwarmen Regenwald.

Rau bist du als jener, den Feuer und Eis schmiedeten, kantig und hart. Den heißen weichen Kern schützt du, als gelte es dein Leben. Erst seit ich dir bewies, dass ich nicht kam, dein Erz auszubeuten, sondern mich der Edelsteine in dir erfreue, ohne sie dir rauben zu wollen, bietest du all deinen inneren Reichtum dar.

Und du, der du mich mit wortgewordenen Gefühlen, Lianen gleich, zu fesseln vermagst, zeigst dich in allen Herbstlaubfarben. Dich selbst verschenkend, fallen deine Früchte wie eben jenes bei leisestem Windhauch luftig leicht in mein Gemüt. Fangen freilich lässt du dich nicht. Versuche ich es, steche ich mich an stacheligen Kastanienschalen, wo ich eben noch zarteste Rosenblätter in Händen hielt.

So bin ich selbst das verbindende Element, das Wasser unserer Dreieinigkeit. Alles umfließend, alles befruchtend. Aus von Sonne beschienenem Eis von den Bergen rinnend, in Schluchten zu reißenden Bächen anwachsend, mich in Wasserfällen versprühend. Nichts hält mich auf, bis ich zur Ruhe kommend, in den Auwäldern liege. Und doch formt ihr mich Sinn gebend und immer wieder neu. Durch euch entdecke ich ungeahnte innere Flüsse, ströme jetzt durch mein Leben wo vorher nur ein Stolpern war.

Gelange ich rein gewaschen aus dem Gebirge, mich über lange Strecken und durch weitreichende Talwiesen beruhigend, in die Ebenen, verströme ich mich. Versickere in Sümpfen, Flussauen und gelange zu den Wurzeln der Grenzwälder, die sich wieder bis an den Fuß der Gebirge ziehen. So sehe ich euch beide stets über und unter mir und um mich herum. Stolz seid ihr beide, doch dem Wesen nach könntet ihr nicht gegensätzlicher sein. Wald erobert Bergland, Felswände schützen ihn vor Sturm.

Tief in deinen Wäldern verborgen findest du mich als Rinnsal, deiner Reimtiere Durst stillend. Fließe mit von dir erdachten Fabelwesen durch das grüne Reich deiner sich Schilf gleich wiegenden Stabreime. Mein Lauf mäandert wie die Vielfalt deiner Geschichtenstränge.

Verschmelze ich hier mit dir, so nennen wir uns Regenwald, saftig wuchernde tropfende Üppigkeit. Und bin ich dann wieder bei dir dort, so erstrahle ich als glitzernde Schneepracht deiner Gipfel, dir aufliegend, an deine Bergrücken geschmiegt.

Wir erfordern einander. Waldboden – durch Wasserkraft zu Sand vermahlenes Gebirge. So entsteht auch ihr auseinander. So gibt Felsen an Wurzelholz neuem Wachstum Halt. So tränke ich die Wurzeln. Werde nie weniger, bin für alle genug, denn ich speise mich aus den sich über den Regenwäldern bildenden Wolken und regne mich am Gebirge ab. 

Wo deine Vulkanasche fiel, wächst Fruchtbares in mir. Wo Waldbrand wütete, gedeiht Grünes in besonders zarten Tönen. Wo steinernes Flussbett ausliegt, fühl ich mich geleitet und geführt und doch frei fließen dürfend hinab in die Wälder. Bin so wandelbar. Eis ist mein eigener fester Zustand und als Wasser fließe ich auch in Bäumen aufwärts.

Der Wind trägt aus den Tälern ein sanftes Flüstern ins Gebirge. Es antwortet mit Steinschlag. Dessen Kieselsteine rollen auf meinem Flussgrund mit Herbstblättern umeinander. Ich führe euch beide in mir, weit in unser inneres Land.

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2011