Ascheflug

Von folgender Begebenheit in grauer Vorzeit und vor der Großen Wandlung künden Metalltafeln, die beim Anlegen eines weiteren Trans-Magnetospin-Terminals unweit von F – M1 in der Nähe des M1 in Höhlengängen gefunden wurden. Die Übersetzung und wissenschaftliche Auslegung erfolgte durch Spezialisten der Archäologischen Fakultät.

Ein Zeitalter neigte sich seinem Ende entgegen, denn es vermehrten sich die Zeichen der Erde und wiesen auf tiefgreifende Veränderungen hin. 

Wie die Weisen vorhergesagt hatten, begann immer öfter die Erde zu beben und die Heißen Berge schleuderten wieder ihre Asche gen Himmel. Die damalige Hochkultur der Asi-Europier betrachtete dieses mit Besorgnis. Manche machten sich Gedanken und erinnerten an die Prophezeiungen, viele andere gingen bald wieder ihren alltäglichen Ritualen nach.

Einmal, als die hellere Zeit des Jahres in den nördlichen Gebieten Einzug hielt, erschütterte ein besonders heftiger Ausbruch des weithin bekannten Heißen Berges Eia-Fäla-Jökul eine große im Meer liegende Insel. Die Bewohner flohen vor den Lavamassen, den brodelnden Fluten der schmelzenden Gletscher und zogen sich, so weit es ihnen noch möglich war, in ruhigere Gebiete zurück. 

Riesige Aschewolken wurden hoch in die Himmelssphären geschleudert und verbreiteten sich von Winden getragen weit über die Inselgrenzen hinaus über das Ost-Meer und weite Teile des südlicheren Festlandes, das damals Asi-Europien hieß. 

Innerhalb weniger Wochen vermischte sich die Luft über den angrenzenden Gefilden mit der Vulkanasche aus dem Norden. Sie blieb durchsichtig, fast klar, aber das Sonnenlicht brach sich in ihr auf geheimnisvolle Weise, so dass sie einen gelblichen, manchmal auch rötlichen Schimmer annahm. 

Zu dieser Zeit hatten die Asi-Europier ein beachtliches Transportwesen geschaffen, das zu Lande, zu Wasser und in der Luft für erhebliche Bewegung sorgte. Ein Großteil des Handels und der Pilgerreisen ging auf dem Luftwege vonstatten. Seit mehr als 100 Jahren waren sie gewohnt, Fluggeräte am Himmel zu sehen und deren Spuren galten vielen als großartige Zeichen ihrer Zivilisation.

Die Priester der Fluggerätetempel befürchteten, ihre Gerätschaften könnten angesichts der Aschelüfte Schaden nehmen, denn die verwendete Technik hatte sich auf eine Art weiterentwickelt und verfeinert, die größeren Störungen nicht mehr gewachsen schien. So kam es also, dass verfügt wurde, das Flugwesen für einige Zeit ruhen zu lassen.

Die Zeichen der Zivilisation verschwanden vom Himmel und er nahm sein ursprüngliches Aussehen wieder an. Manche Asi-Europier reagierten angstvoll, denn es schien, als bedecke eine makellos blaue flache Scheibe auf bedrückende Weise ihre Welt. Andere wiederum wurden sich beim Betrachten des klaren reinen Himmels der ungeahnten Weiten und des grenzenlosen Übergangs ins All, in das Alles-was-ist, wieder bewusst.

Die Kaste der Flugpriester errechnete, dass der Schaden durch Ausfall des Flughandels einerseits erheblich war, andererseits den mit ihr verbundenen Landkarawanen erfreulichen Gewinn bescherte. 

Auf gemeinsamen Druck der Fliegerkaste und der Festlandstempel hin wurde das Flugwesen schon nach wenigen Tagen wieder aufgenommen. Ausschlaggebend waren die Rufe vieler Asi-Europier in dieser hektischen Zeit: Sie wollten weiterhin ihre üblichen Handlungen mit der gewohnten Eile erledigen können. Wer am schnellsten große Strecken zurücklegen konnte, kam am ehesten zu Wohlstand.

Eine wichtige Aussage der Priester der Naturtempelkaste ging in der allgemeinen Sorglosigkeit nach Wiederaufnahme des Flugtreibens unter: Die Verunreinigung des Himmels durch die Asche des Heißen Berges entsprach nur einem Bruchteil der der Fluggeräte, wären sie in dieser Zeit geflogen. Die Luft war trotz Asche nach den fluglosen Tagen um ein Vielfaches reiner, als sie es seit Beginn der Messungen je gewesen sei.

Ein einziger Tag an einem Großflugtempel bescherte dem Himmel wieder mehr als 1400 Fluggeräte. Jedes einzelne Fluggerät übergab ihm als Tribut an die Zivilisationsgötter die Asche seiner verbrannten Flugstoffe.  

Von gelegentlichen Aufständen anwohnender Asi-Europier abgesehen, gab es keine nennenswerten Widerstände gegen Flugkasten und ihre Tempelanlagen. Die zunehmenden Luft- und Gewässerveränderungen bewirkten zu damaliger Zeit noch kein grundlegend anderes Handeln beim Einsatz zivilisatorischer Kultobjekte.

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2010