Rundreise

Meine Aufmerksamkeit ziehst du auf dich, als ein sommerlicher Lichtstrahl dich streift. Unschuldig siehst du mich an, so, als würdest du auf die Sonne deuten: Sie war es, ich kann gar nichts dafür! Schon lange ruhst du dort, von mir vergessen, irgendwann. Nun aber leuchtest du, glühst plötzlich auf, mit so warmem Schein, dass dein Abglanz um dich eine schimmernde Aura zeichnet. 

Vor mir, in greifbarer Nähe, liegst du, so verführerisch und doch, etwas hält mich zurück, nach dir zu langen. Eine Art achtsamer Scheu vielleicht, so, als könnte meine Berührung dich entweihen, dir etwas antun, das deine Vollkommenheit zerstört. Ein Ideal, das auch die Faltungen der Haut um deine Mitte, die zarte Rundung nachzeichnend, nicht mindern. Abgerundete, ausgereifte Perfektion.

Ja, rund bist du, ohne Anfang und dein Ende ist nicht abzusehen. In meinen Händen würdest du perfekt die Leere füllen, und, wie ich dich auch drehe und wende, in Gedanken, – du bist, rundum, eckenlos und kantenleer. Bis auf die eine kleine Delle, dort, wo du verwachsen warst, fern von hier, mit einem Land, in dem die Sonne dich so viele Male küsste, dass du fast rot geworden bist. Fast, nicht ganz. Man hat dich weggeschickt, berechnend und ungefragt.

Prall ist deine Haut, und fest, und nur widerstrebend nachgiebig. Keineswegs hingebungsvoll. Ich weiß noch, wie ich jede deiner deutlich spürbaren Poren mit den Fingerspitzen tastend maß. Jede eine Verheißung dir innewohnender, noch verborgener Sinnlichkeit, die du äußerlich nicht ganz verbergen kannst. Wohl auch nicht willst. 

Als ich in eine deiner Schwestern drang, wehrte sie sich, einen duftenden Nebel versprühend. Aber sie hinterließ auch blutrote Rinnsale auf meiner Haut. Das erinnerte mich an mich, irgendwie. Damals erschrak ich in Unkenntnis eurer Vielfalt. Heute weiß ich sie zu schätzen. 

Dieses Lockende und gleichzeitig Von-euch-Weisende, zieht mich dennoch an, seit jeher, und jetzt zu dir. Ah, diese Ahnung von süßem saftigem Durststillenden, das in dir wohnt, die mich begehrlich macht, von der ich eben noch nichts spürte, und die mich jetzt so drängen will, nach dir zu greifen. 

Meine Hand wandert, sich selbstständig machend und von dir angezogen, hinüber, und stupst dich an. Und bereitwillig rollst du dich zur Seite und mir, unerwartet, entgegen. Du lockst mich heran, schon kann ich deinen Duft atmen. Erinnerungen vergangener Feste in dunkler Zeit, vermischt mit weiteren köstlichen Aromen, steigen auf. Lichterglanz und Lachen, Andacht und Segen, Waldduft, Heimlichkeit und Vielversprechendes.

Seltsam schwer schmiegst du dich in meine Hand, willst dich wohl nicht festlegen lassen auf einen bestimmten Punkt. Rollst langsam hin und her, verführerisch, lasziv. Irgendwer nannte dich nach paradiesischer Frucht, ganz richtig versehen mit weiteren Silben, denn du lädst noch mehr ein, auch Sinnbild des Verbotenen: Öffne mich!, scheinst du zu flüstern. Nein, du forderst es geradezu: Heraus!

Doch wie kann ich dir nahe sein? Ohne zu verletzen, dich eindringlich genießen? Wie an dein Inneres gelangen, ohne dich zu brechen? All mein vorsichtig tastendes Tun – es wird Zerstörung sein! Vernichtung, ganz und gar. Dennoch raunst du nachdrücklich: Teile mich, zerteile mich, erkenne dich – in mir. Die feste Schale, der weiche Kern.

So rund, so sinnlich, so duftend! So verschwenderisch verführerisch – und doch: Ich widerstehe dir, vorerst. 

Will nur deinen bloßen Anblick genießen. Noch.

Denn einmal hatte ich von dir gekostet, als du entblößt, entblättert vor mir lagst. Hast dich so willig angeboten. Hast dich verfügbar aufgetan. Hastig, gierig hab ich dich genommen, genossen, nicht genug bekommen. Bis zum Überdruss. Und hab noch nicht vergessen, wie du betäuben kannst, all meine Sinne. Mit zu viel des Guten.

Ich lasse dich, lass von dir ab. So schön bist du und deine Farbe zeichnet dich, signiert in deinem Namen. Ich kenne dich, noch nicht. Ganz.

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2012